Einblicke

KW6

29482 Klein Witzeetze

Politisch-motiviertes Mehrgenerationenwohnen

Knapp fünf Jahre jung ist das Wohnprojekt „KW6“ – Klein Witzeetze Hausnummer 6. Das Haus ist groß, es beherbergt 400 Quadratmeter ausgebaute Wohnfläche auf zwei Ebenen. Hier wohnte – mal abgesehen von einer Einliegerwohnung – eine Bäuerin nach dem Tod ihres Mannes viele Jahre allein. Sie entschied sich für den Verkauf. Ein Landwirt aus dem Nachbardorf, der seit Jahren eine große Kartoffelscheune bewirtschaftet, nahm sich der Immobilie, der Nebengebäude und der Flächen an. Doch das Wohnhaus brauchte er eigentlich nicht.

Kina und Jan kamen vor knapp zehn Jahren mit Bauwägen aus Lüneburg in den Landkreis. Für Kina ein Comeback, Jan kam damit seinem langjährigen Engagement gegen die Atomanlagen in Gorleben räumlich näher.

„Die Entscheidung für das Wendland war aber auf keinen Fall Gorleben. Über den Widerstand haben wir hier viele Menschen, den sozialen Umgang, die politischen Netzwerke und die ökologische Lebensweise schätzen gelernt. Außerdem ist es hier im Wendland einfach schön“, sagt Jan.

Von Mützingen über Wibbese landete die kleine Familie im Rundling von Klein Witzeetze. „Nachdem das erste Kind da war, wollten wir uns vergrößern und hatten auch Lust auf mehr Menschen um uns im Alltag. Wir hatten schon eine Weile gesucht, und wurden dann auf diesen Hof aufmerksam gemacht. Wir dachten erst, das ist überhaupt nicht unsere Kragenweite. Dann sahen wir, der ganze Hof ist eine „Betonwüste“. Trotzdem schauten wir uns das Haus von innen an und hatten sofort dieses kribbelige Gefühl“, berichtet Kina. „Das war ein richtiger Glücksfall. Meine Berliner Altbauwohnung auf dem Land.“

Mit dem Einzug der ersten WG-Kombination nach ein paar Umbauten entstanden drei unabhängige Wohneinheiten, wobei eine im Obergeschoss familiär, die beiden anderen von Zweier-WGs bewohnt wurden.

„Wir sind mit einer Handvoll Freunden gestartet, wir konnten damals kaufen, alle anderen wollten mieten. Uns war von vornherein klar, dass dieses Haus viel zu groß ist für uns allein“, erinnert sich Jan. Das ganze Haus ist durch Flure und Türen miteinander verbunden, wer sich treffen will, der trifft sich. Wer seine Ruhe möchte, der schließt seine Tür. „Unsere kleine Familie entwickelt machmal so viel Eigendynamik, das reicht wenn wir uns damit allein auseinandersetzen“, lachen die Eltern.

Von Beginn des KW6-Projekts an wohnen sie unter einem Dach mit Birgit, die seit Anfang der 80er Jahre im Landkreis lebt. Birgit ist wie eine Oma für die beiden Kinder geworden. Schließlich begleitet sie täglich das Heranwachsen, ist immer ansprechbar und liest gern mal eine Geschichte vor.

Tür auf und raus in den Garten

Über die folgenden Jahre wechselten die Mitbewohner*innen in der Einliegerwohnung, besonders für die Kinder im Haus waren das immer wieder Brüche mit Gewohnheiten. Ende 2018 wurde dann alles einmal durchgewürfelt. Die Ausgangssituation für Veränderungen war ideal, denn mehrere Zimmer standen gerade leer. Fußböden und Wände wurden aufgebrochen, tonnenweise Lehm verschmiert. Birgit bekam eine eigene Küche und ein Badezimmer, so dass sie jetzt eine eigene, abgeschlossene Wohnung für sich hat. Kina und Jan zogen mit ihren Kindern in den hinteren Teil des Hauses und verbringen nun den Alltag im Erdgeschoss.

„Unsere Kinder wurden immer selbstständiger, vor allem im Sommer mussten wir immer die Treppen rauf und runter. Jetzt brauchen wir nur noch die Tür aufmachen – und stehen mit dem Kaffee in der Hand in der Sandkiste“, freuen sich Kina und Jan.

In die dritte Wohnung zog eine weitere Familie ein. Zwischenzeitlich lebten mal zehn Leute hier, heute sind es noch acht Personen, davon drei Kinder.

Das Mieter – Vermieterverhältnis

Als man damals startete, gab es in Ansätzen die Idee, dass viel gemeinsam entschieden werden könne. Doch an den faktischen Unterschied zwischen Mietern und Vermietern, die daraus manchmal auch nur unabsichtlich entstehenden Erwartungshaltungen und Pflichten, mussten sich die Hausbewohner*innen erstmal gewöhnen.

Ein regelmäßiges „Plenum“ wurde anfangs vermieden, man traf sich fast jeden Abend in einer der Küchen. Reihum wurde gekocht und der Rest des Hauses eingeladen. Doch mit kleinen Kindern am Tisch wurde der Versuch von Kommunikation meist zu keiner – sondern zur Bedürfnisbefriedigung der Kleinsten. So wurde man sich einig, dass es für manche Themen ein „Plenum“, und das ohne Kinder, braucht.

Politischer wunde.r.punkt

Vor allem das politische Engagement der Bewohner*innen prägt den Hof mindestens einmal im Jahr: Während der Kulturellen Landpartie findet hier nämlich ein „politischer wunde.r.punkt“ statt. Bekannt wurde das Projekt besonders, als 2018 zur KLP ein großes Soli-Konzert mit einer überregional bekannten Band für die Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer stattfand.

Während sich zur KLP natürlich dutzende Menschen auf Haus und Hof tummeln, um das ehrenamtliche Projekt zu stemmen, hat man hier auch über das Jahr viel Besuch. „Schließlich leben wir in einem großen Haus mit vielen Zimmern und Gästebetten. Da bleiben unsere Freund*innen gern ein paar Tage länger.“ Überhaupt lädt man hier gern viele Menschen ein. Damit werden Kindergeburtstage zu üppigen Festivitäten, Hofflohmärkte zu öffentlich angekündigten Events und immer mehr Menschen besuchen den Hof am Heiligen Abend zur „traditionellen Feuertonne“. Plötzlich machten „Betonwüste“ und große Remise nicht nur für die Trettrecker der Kinder Sinn…

Kina & Jan Becker
Klein Witzeetze 6
info@kw6.info – www.kw6.info

Text und Fotos: Kina und Jan Becker